Mozart auf der Reise nach Paris
Briefe und Sonaten 1777–'79

Nachdem der 21-jährige Wolfgang Amadeus Mozart vom Salzburger Erzbischof entlassen wurde, unternimmt er in Begleitung seiner Mutter eine Reise nach Paris, um nach einer Anstellung als Hofkompositeur zu suchen. Auf dem Weg dorthin lernt er sein "Bäsle" kennen und komponiert ihr gleich einige der frivolsten Briefe der Literaturgeschichte... In Mannheim trifft er auf die verarmte Musikerfamilie Weber und beginnt prompt eine Affäre mit der 15-jährigen Tochter Aloysia, für die er all seine hochtrabenden Reiseziele umwerfen will. Seine Mutter hat anscheinend die Kontrolle über den Heißsporn Wolferl verloren und Vater Leopold rät, bittet, droht aus dem entfernten Salzburg – ein Generationskonflikt entsteht, wie er skurriler und dramatischer kaum sein kann...

Mit viel Musik des Komponisten aus jener Zeit der Parisreise, in der Wolfgang Amadeus Mozart Entscheidungen traf, die sein ganzes weiteres Leben beeinflussen sollten.

Was passiert, wenn ein musikalisches Genie, das gleichzeitig ein unreifer Mensch ist, in die weite Welt spaziert? Er wird bestaunt, bewundert, ja, vielleicht sogar verehrt, aber – so jemanden in seine Dienste aufnehmen? Nein, danke! Dann lieber den weniger Genialen, aber dafür Zuverlässigen. Nun ist es nicht so, daß Wolfgang Amadeus Mozart auf seiner langen, ausgedehnten Reise nach Paris keinen Reifungsprozess durchgemacht hätte: er verließ Salzburg als postpubertärer Jüngling, dessen Vater sich bisher um die ernsten Angelegenheiten des Lebens gekümmert hat. Auch auf dem Gebiet der Liebe sicherlich noch weitgehend unerfahren, stürzt Wolfgang sich sogleich in jedes ihm erreichbare amouröse Abenteuer: egal ob es sich dabei um seine eigene Cousine handelt oder um ein am Rande der gesellschaftlichen und finanziellen Existenz lebendes Mädchen von 15 Jahren: Für diese Aloysia Weber hätte er vermutlich seine eigene Seele verkauft! Seine Mutter, die ihn begleitet, wird ihm lästig, er schiebt sie ab ins Hotelzimmer, um ungestört seiner Liebschaft nachgehen zu können. Schlussendlich wird Mutter Maria Anna Mozart diese Reise nicht überleben: sie stirbt an völliger Entkräftung in Paris und läßt einen schockierten Sohn zurück, der nicht den Mut aufbringt, seinem Vater den wahren Sachverhalt zu schreiben... Als gereifter Mann wird er nach über zweijähriger Reise zurückkehren, nachdem er das gesamte Vermögen seines Vaters durchgebracht hat... Ist das das nette "Wolferl", das wir zu kennen glauben? Nein, aber vielleicht beginnen wir zu verstehen, dass der Komponist W. A. Mozart nicht nur ein Spaßmacher war, dem der Leumund keinerlei Schattenseiten zubilligen möchte. Gleichzeitig können wir an der ausgewählten Musik hören, wie diese Erlebnisse aus dem Schöpfer ausgeglichener, sorgenfreier Klavierwerke ein gereifter Vorbote der Romantik wurde.
(Alexander Netschájew)


Ein Apoll als Ritter von Sauschwanz
Ein musikalisch-biographischer Duoabend bei Steingraeber

"Daß ein anerkanntes Genie solche Schweinereien schreiben kann" – das Erstaunen darüber, daß aus der Feder von Amadeus, der sich gern auch mal als "Ritter von Sauschwanz" titulierte, die Musik floß, die wir einem gewissen Mozart zuschreiben, hat immer noch nicht aufgehört. Der Ausruf einer Kommentatorin des Duoabends bei Steingraeber beschreibt genau jene Diskrepanz zwischen dem scheinbar so apollinischen Genie und dem Briefeschreiber, dem Donnerblitzbub Wolfgang Amadé, der die Welt bis heute fasziniert und irritiert.
Der Pianist Manfred Seewann und der Rezitator Alexander Netschajew, den Bayreuthern auch als Protagonisten des Jugendfestspieltreffens vertraut, haben nur einen Steinwurf entfernt von jenem Haus, in dem das Bäsle, Mozarts Augsburger Base Maria Anna Thekla Mozart, die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte, sie haben also nur ein paar Schritte weiter auch aus jenen Briefen zitiert, die der junge Geck auf seiner Reise nach Paris dem Bäsle zukommen ließ. 1777 zog Mozart Richtung Paris, um sich dort das Glück im Form einer großen Stelle zu erobern. Bevor er dort erfolglos wieder auszog, berührte er Mannheim, wo er sich in Aloysia Weber verliebte und traumhafte Zukunftsprojekte schmiedete. Die Reise wäre nur in die Annalen der Musikgeschichte eingegangen, hätte man nicht jenen Bruch zwischen dem strengen, vernünftigen, aufs Ökonomische bedachten Vater und seinem aufmüpfigen Sohn zu konstatieren. Netschajew spielt ihn aus, indem er nicht nur den hypernervösen Komiker Wolferl zum besten gibt, sondern auch den fürchterlich strengen Vater – ein psychologisches Kammerspiel, dem nichts Anekdotisches mehr anhaftet, und: zwei ganze Menschen, die gefangen sind in ihren Welten – nervös und auf Teufel komm raus spaßig der eine, um die Welt und ihre Gefahren wissend der andere.
Netschajew rezitiert nicht, sondern spielt den Konflikt aus, daß man erschreckt. Sein Partner Manfred Seewann hält vor allem mit den heiteren Sätzen von Mozarts Meistersonaten in C-Dur und a-Moll dagegen. Das geht manchmal ein weinig zu hurtig, aber wenn so ein langsamer Satz ertönt, ein Epiaph auf die tote Mutter, die Mozart in Paris sterben sah, eine Grabschrift, wie sie nur der Neurastheniker aus Salzburg schreiben konnte, dann ahnt man, daß Mozart den Amadeus brauchte, um nicht in der Depressivität zu ersticken.
Depressiv könnte man allerdings angesichts der Zuschauerzahl weden die an diesem Abend bei Steingraeber den beiden Mozart-Enthusiasten auf ihrem Weg nach Paris folgte. Liebe Bayreuther, es gibt auch noch einen anderen größten Komponisten aller Zeiten, oder, wie er ja geschrieben hat: "Leckens mich am Arsch gschwind."
(Nordbayerischer Kurier, Frank Piontek)

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